Mein Weg von der Fremdenführerin bis zur eigenen Ein-Frau-Firma
Den Beruf Fremdenführer zu finden war für mich ein großes Glück. Bis dahin hatte ich zwar studiert, was mich interessierte, ohne jedoch eine konkrete Idee davon zu haben, welche berufliche Richtung daraus werden sollte. Als ich die Erzählungen vom Berufsalltag einer Fremdenführerin hörte, sprach mich das sehr an. Alle Themen, die mich faszinieren, von Geschichte, Sprachen, Architektur, Stadtentwicklung, Alltagsleben, Traditionen und das lokal-typische einer Stadt oder Region sind in diesem Beruf verpackt. Ich darf neugierigen und interessierten Menschen Wien und Österreich zeigen – wir diskutieren gemeinsam über Themen und stellen Querverbindungen her. Eine große Bereicherung ist auch, dass ich von meinen Gästen über andere Herangehensweisen in ihren Ländern lerne.
Durch Nachfragen und Rückmeldungen werde ich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, was bei uns gut läuft. Oft fällt mir das selbst nicht mehr auf.
Meine Lust am Entdecken, Hintergründe verstehen und Themen für Gäste aufbereiten ist ungebrochen.
Nach 20 Jahren tätig sein in diesem Beruf freue ich mich immer noch auf jede einzelne Führung, jedes neue Thema und die vielen verschiedenen Menschen, die ich kennenlernen darf. Wien und die, in einem Tagesausflug erreichbaren Regionen sind mein wunderschöner Arbeitsplatz. Das ist ein unglaubliches Geschenk! Die Geschichte ist greifbar und die Gegenwart baut in gewisser Weise immer auf dem schon dagewesenen auf.
Aktuelle Entwicklungen interessieren meine Gäste sehr, sie wollen auch wissen, wie ich dazu denke und wie die Menschen hier mit den Herausforderungen umgehen.
Aus diesen Gesprächen entstehen immer wieder Einsichten und Impulse auf beiden Seiten. Ich habe das Gewerbe erstmals im Frühsommer 2001 angemeldet und neben meinem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften und Portugiesisch und meinem Job in der Erwachsenenbildung mit Stadtführungen begonnen. Im selben Jahr startete ich mit drei Kolleginnen das „Ensemble Tourdion“.
Mit Harfe, Laute, Trommel, mir auf der Flöte und unseren acht Stimmbändern führten wir als frisch geprüfte Fremdenführerinnen durch die Wiener Altstadt. Besonders die berühmten alten Höfe waren wunderbare „Klangräume“ mit toller Akustik. Sie waren wie gemacht für unsere Lieder und Musikstücke und die Geschichten über das mittelalterliche Wien.
2009 habe ich mich dann ganz für die Führungs-Tätigkeit entschieden, meinem Tun einen Namen gegeben und die Firma artemezzo gegründet. Ich war die erste und einzige Selbständige in meiner Großfamilie und das blieb 20 Jahre so. Es gab viel Ermutigung und auch Sorge in meinem Umfeld…
Ist das nicht vielmehr eine Liebhaberei?
Kann man denn mit Führungen überleben oder besser halbwegs gut verdienen?
Die Antwort ist, ja, ich kann. Wien ist für dieses Business ein sehr guter Markt. Sofern nicht gerade eine Pandemie ausbricht und zwei Jahre dauert 😉 Meiner kleinen Ein-Frau-Firma ging es bis Corona gut und es wird ihr in absehbarer Zeit wieder gut gehen.
Dass ich die aktuelle Krise trotz allem gut meistern kann, liegt einerseits an meinen lieben Stammkunden, die jedes Lockdown-Fenster mit ein paar Anfragen und tatsächlich stattfindenden Touren gefüllt haben.
Andererseits helfen mir die Zahlen der guten Jahre vor 2020 für das Ansuchen um die staatlichen Hilfen. Ohne die Hilfstöpfe würde meine Welt ganz anders aussehen. Ich habe Glück, dass ich mit meiner langjährigen Selbständigkeit alle Kriterien erfülle. Viel lieber würde ich mit Gästen in der Stadt unterwegs sein und mein Geld aus eigener Kraft und Kreativität verdienen.
Ich blicke positiv in die Zukunft und freue mich sehr auf den Moment, wenn ich meiner Leidenschaft wieder nachgehen kann.
*Hintergrundinfo:
Als Fremdenführer ist man in Österreich selbständig, es ist ein gebundenes Gewerbe, das einer fachlichen Prüfung und einer Unternehmerprüfung bedarf. Die starken saisonalen Schwankungen eignen sich schlecht für ein Angestelltenverhältnis. Die allermeisten Austria Guides, so ist unsere moderne Berufsbezeichnung, sind EPUs (Einpersonenunternehmen).